Außer der geschlechtsneutralen Schreibung ist noch keine Lösung für einen drohenden Widerspruch sichtbar.
Wer nicht gendert, diskriminiert.
Für immer mehr Webseitenbetreibende wird die Frage nach der geschlechterneutralen Sprache zu einem Thema, weil vor allem junge Menschen in diese Richtung mehr und mehr Druck machen. Hier unsensibel zu sein und aus dem vorigen Jahrtausend einfach das generische Maskulinum zu übernehmen, ist für viele Inhaltsverwaltende nicht mehr zeitgemäß.
Der Pauschalsatz "Es wird in männlicher Form geschrieben, Frauen sind mit gemeint." kann dabei so oft wiederholt werden, wie gewünscht, es wird dadurch nicht besser. Da aber niemand direkten Einfluß darauf hat, welche Person vor dem Endgerät sitzt, hilft es auch nichts einen Justament-Standpunkt zu vertreten. Wer sich von der verwendeten Sprache diskriminiert fühlt, fühlt sich so und das kann die Person oder Organisation, die den Internetauftritt betreibt, nicht ändern. Damit kann aber eine potentielle Kundschaft verloren gegangen sein.
Zumindest eine emotionale Diskriminierung...
Personen, die Inhalte für Webseiten schreiben und dabei auf das Thema »Gender« keine Rücksicht nehmen, schaffen bei zunehmend wachsenden Gruppen in der Bevölkerung zumindest eine emotionale Diskriminierung. Frauen, eine besondere Absurdität der früheren deutschen Sprache mit dem generischen Maskulinum, weil sie die Bevölkerungsmehrheit darstellen, wurden vor längerer Zeit schon mit dem "Binnen-I" inklusiv in der Schriftform der Sprache "gestellt".
Inter, Trans, Non-Binär...
Da das "Binnen-I" aber eigentlich nur dazu geeignet ist die beiden biologischen Geschlechter Frauen und Männer zu inkludieren, aber keine Rücksicht auf die sogenannten "Sozialen Geschlechter" nimmt, also die empfundene bzw. emotionale Zugehörigkeit oder eben Nicht-Zugehörigkeit zum biologischen Schema, hat das Binnen-I bei vielen Menschen ausgedient, die sich mit geschlechtergerechter Sprache befassen.
Noch herrscht Uneinigkeit darüber, wie diese Erweiterung auf soziale Geschlechter funktionieren kann, einige Ansätze gibt es und viele werden inzwischen auch verwendet. Dazu gehört beispielsweise der Doppelpunkt, also die Schreibweise "Mitarbeiter:innen" oder der sogenannte Gender Gap, also ein Abstand der durch einen Unterstrich erzeugt wird, was zur Schreibweise "Mitarbeiter_innen" führt. Auch der Genderstern hat inzwischen viele Menschen für sich gewonnen und kommt in vielen Schriftstücken und auf Webseiten vor. Die Schreibweise ist dann "Mitarbeiter*innen".
Die Qual der Wahl zwischen Binnen-I, Gender Gap, Gender-Doppelpunkt und Gender-Stern ist leider aber zur Wahl der Qual geworden - im wörtlichen Sinne.
Wer gendert, diskriminiert.
Das mag jetzt das überraschende Moment in diesem Text sein. Wer gendert, diskriminiert. Nicht etwa die Männer, die sich daran gewöhnen müssen, dass die Sprache sich weiterentwickelt und nicht mehr nur auf männliche Bezeichnungen zugeschnitten ist. Wir sprechen von einer anderen Gruppe von Menschen, die durch den Einsatz von
- Binnen-I
- Gender-Gap
- Gender-Stern
- Gender-Doppelpunkt
diskriminiert werden. Diese Methoden konterkarieren die Barrierefreiheit von Internetseiten, darum nennen wir diese Methoden in diesem Text auch überspitzt und provokant die Wahl der Qual.
Wir haben bei echonet eine spannende Auseinandersetzung rund um das Thema Gendern - weil wir in dem was wir tun es auch darum tun um Information barrierefrei zu machen und damit allen Menschen zur Verfügung zu stellen.
Emotionale und technische Diskriminierung mit dem Gendern?
Barrierefreiheit gehört zum Internet und muss in allen Aktivitäten aller beteiligten Menschen zu einem integralen Bestandteil werden. Sprachliche Inklusion durch "Sonderzeichen-Methoden" erschweren es allen Menschen einen Text zu lesen, die entweder wegen mangelhafter Sprachkenntnisse eine Übersetzungssystematik benutzen müssen - Beispiele davon finden Sie auf dem 2. Artikelbild - oder auf andere Weise Schwierigkeiten mit der Erfassung von Text haben. Auch Menschen mit starken Sehbeeinträchtigungen oder vollständiger Blindheit leiden de facto unter den Sonderzeichen-Methoden.
Doppelpunkt und das perfekte Übersetzungschaos
Google-Translate:
"Mitarbeiter:innen" in englische Sprache übersetzt: "Employees: inside"
"Student:innen" in englische Sprache übersetzt: "Female students"
"Kund:innen" in englische Sprache übersetzt: "Customers: inside"
"Lehrer:innen" in englische Sprache übersetzt: "Teachers"
"Chef:innen" in englische Sprache übersetzt: "Boss: inside"
Weder das Binnen-I noch der Gap, der Stern oder der Doppelpunkt werden daher von den Interessensvertretungen der betroffenen Gruppen gut geheißen. Das hat nichts mit einem konservativen Zugang zu tun, sondern mit der Tatsache, dass diese Gender-Methoden nicht nur emotional sondern sogar technisch diskriminieren.
Gender-Inklusion kann nicht wichtiger als andere Inklusion sein
Wie - nur um auch konkrete Beispiele zu nennen - in entsprechenden Stellungnahmen der Blinden- und Sehbehindertenverbände im deutschsprachigen Raum nachzulesen ist, macht man einen Text mit der Sonderzeichen-Anwendung - und zwar aller bisher verbreiteten Methoden - für betroffene Menschen schwer oder gar nicht mehr nutzbar. Damit schaffen diese Gender-Methoden neben einer emotionalen Diskriminierung auch eine technische Diskriminierung, anders gesagt, diese Methoden verschärfen das Problem zusätzlich.
In verständlichen Bildern erklärt:
Eine Person empfindet sich beim Einkaufen für das Abendessen nicht inkludiert, weil in einem Supermarkt nicht auf geschlechtergerechte Sprache Wert gelegt wird. Dass das "nur" eine emotionale Diskriminierung ist, darf keine Ausrede sein. Es ist für diese Person relevant und das darf auch nicht klein geredet werden. Trotzdem wird die Person wohl die Lebensmittel einkaufen und danach ein Abendessen haben. Wenn der Eingang des Supermarktes mit einer 30-cm-Bodenschwelle versehen ist, dann wird ein Mensch mit Rollstuhl aber möglicherweise gar kein Abendessen haben.
Das ist in der Sprachdiskussion und der Anwendung von Sonderzeichen für eine geschlechtergerechte Sprachweise viel zu sehr aus dem Blickfeld geraten. Unternehmen, Behörden, Städte, Kommunen haben in den letzten Jahren immer stärker damit begonnen eine der Sonderzeichen-Methoden bei sich einzuführen ohne auf die daraus folgende technische Diskriminierung Rücksicht zu nehmen.
Gender-Stern, -Doppelpunkt, -Gap oder Binnen-I sind keine Lösung
In der Sprache haben die Sonderzeichen für alle, die diese Sonderzeichen verstehen und interpretieren können, mit einer sehr kleinen aber hörbaren Pause zu tun, die eine Person die einen solchen Text vorliest oder vorträgt auch setzen kann. Spätestens wenn jemand aber eine blinde Person dabei beobachtet hat, wie diese Person Internetseiten konsumiert und liest, ist klar, dass das keine Lösung ist. Geübte Personen, die das Internet trotz Sehbeeinträchtigung oder Blindheit beispielsweise mit einer Vorlesesoftware nutzen, verwenden diese nicht so, wie sich andere das möglicherweise vorstellen. Die Geschwindigkeit in der das Audiosystem den Text vorliest, damit die Person einen Inhalt in einer sinnvollen Zeit erfassen kann, ist zumeist so hoch eingestellt, dass eine solche Mini-Kunst-Pause nicht wahrnehmbar wäre, selbst wenn die Sprachausgabe-Software diese Sonderzeichen korrekt interpretieren würde.
Dazu kommt, dass viele der betroffenen Personen aufgrund der nicht mehr lesbaren Texte dazu genötigt werden die Software auf eine Ignoranz der jeweiligen Sonderzeichen einzustellen, sodass diese Sonderzeichen ignoriert werden. Das Problem dabei ist, dass die Sonderzeichen aber eben zur Sprache und zu Texten gehören, auch wenn sie nicht im konkreten Fall der geschlechtergerechten Sprache eingesetzt werden. Sterne beispielsweise stellen oftmals die wichtige Kennzeichnung für Pflichtfelder in Formularen dar. Doppelpunkte haben ebenfalls eine semantische Bedeutung, die auch von der Sprachausgabe-Software genauso wie der Gap "_" nicht ignoriert werden sollte, wenn ein Text sinnvoll erfasst werden soll.
Der Spezialfall Doppelpunkt
In der Argumentation wird unter Berücksichtigung der Barrierefreiheit oftmals dann der Gender-Doppelpunkt als mögliche Lösung vorgeschlagen. Hintergrund ist, dass der Doppelpunkt im Gegensatz zum Gender-Stern und dem Gender-Gap von Bildschirm-Lesesoftware nicht ausgesprochen wird, weil sich beim Doppelpunkt nicht um ein Sonderzeichen handelt sondern um ein Interpunktionszeichen. Trotzdem führt auch der Doppelpunkt zur Fehlinterpretation bei der Vorlesesoftware und auch auf der Braille-Zeile, weil ein Doppelpunkt eben trotzdem eine semantische Bedeutung in einem Text hat.
Es ist von den schlechten Varianten aber noch die erträglichere Möglichkeit, wenn die Bereitschaft für darüberhinausgehende Inklusion einfach nicht gegeben ist. Textbeispiele, damit diese Problematik auch für alle nachvollziehbar ist - in Kursiv die dazugehörige Passage aus der Screenreader-Software:
- Es werden verstärkt Polizist:innen außen auf der Straße im Dienst sein.
Es werden verstärkt Polizist innen außen auf der Straße im Dienst sein. - Es werden verstärkt Polizist*innen außen auf der Straße im Dienst sein.
Es werden verstärkt Polizist Stern Innen außen auf der Straße im Dienst sein. - Es werden verstärkt Polizist_innen außen auf der Straße im Dienst sein.
Es werden verstärkt Polizist Unterstrich Innen außen auf der Straße im Dienst sein. - Es werden verstärkt Polizist/innen außen auf der Straße im Dienst sein.
Es werden verstärkt Polizist Schrägstrich Innen außen auf der Straße im Dienst sein.
Es ist schon klar, dass wir das "außen" hier absichtlich gesetzt haben um das "innen" noch einmal deutlicher im Sprachfluss zu stören - aber diese Beispiele sollen eben das Verständnis für die Thematik fördern.
Übersetzungssoftware mit dem Doppelpunkt
Wenn jemand, der einen Text lesen möchte, der Sprache nicht vollständig mächtig ist, wird die Person womöglich eine Übersetzungssoftware benutzen. Und dann wird es ebenfalls schwierig, wenn die "Mitarbeiter:innen" als "Employees inside" übersetzt werden, wie in der Übersetzungssoftware des amerikanischen Online-Giganten Google.
Mehr als nur blinde Personen - Autismus & Co
Generell geht es aber beim Gendern und bei der Inklusion wobei eben die Verwendung der Sonderzeichen-Systematiken vermieden werden sollte, aber um viel mehr Menschen als nur Braille-Zeilen-Nutzende oder Personen, die eine Vorlese-Software benutzen. Alles was Verständlichkeit und Lesefluss zerstört, kann für Menschen mit Beeinträchtigungen zum Hindernis werden und dazu führen, dass die Person den Text nicht mehr versteht.
Alle Menschen, die aus irgendeinem Grund Schwierigkeiten beim Erfassen von Text haben, wenn dieser durch die Setzung von Sonderzeichen unterbrochen oder in die Länge gezogen wird, sind von dem Thema betroffen. Menschen mit Autismus oder Asperger-Syndrom beispielsweise haben durchaus Schwierigkeiten einen Text zu erfassen, wenn dieser durch Störungen und Abweichungen vom Sprachgebrauch unterbrochen wird. Möglicherweise kommen sie noch am besten mit dem Gender-Und zurecht.
Das Gender-Und und dessen Probleme
Hier sind wir wieder zurück bei den Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung. Da diese Menschen es oft sehr schwer haben einen Text zu "überfliegen" - was für Sehende oft sehr einfach ist - ist die Aufdoppelung bei Aufzählungen: "Wir möchten Kundinnen und Kunden genauso wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und Aktionärinnen und Aktionäre erfreuen." ein zusätzliches Hindernis. Aus einem Wort werden plötzlich drei, die eine sehende Person als einen "Begriff" möglicherweise noch erfassen kann, für jemanden, der einen Text aber aus technischen Gründen "sequentiell" - also Wort für Wort hintereinander - lesen muss, macht es das beispielsweise auf einer Braille-Zeile sehr unangenehm.
Einzige Lösung wohl vorerst... Geschlechtsneutrale Sprache
Was auch immer wir uns angesehen haben, an der geschlechtsneutalen Sprachweise scheint aktuell noch kein Weg vorbei zu führen, wenn die Diskriminierung sowohl in die eine als auch in die anderen Richtungen vermieden werden soll. Es wird auf die Menschen, auf die Personen oder auf die beschreibenden Substantive wie "die Studierenden" statt "Stundent*innen", "Student:innen", "Student_innen" oder "StudentInnen" hinauslaufen.
Möglicherweise ein neues Sonderzeichen?
Von Seiten der Interessensvertretungen der betroffenen Personen - wenn man diese Vertretungen einzeln anhört - kommen durchaus alternative Vorschläge, wie eben beispielsweise die Einigung auf ein ganz bestimmtes Sonderzeichen oder auf andere Formen der gendergerechten Sprache. Das Problem bei allen diesen Anregungen ist letztlich, dass alle in eine andere Richtung zielen - jeweils für die eigene Klientel der Interessensvertretung.
Daher sieht es aktuell auch danach aus, dass die geschlechtergerechte Sprache wohl immer irgendwie diskriminierend bleiben wird, während die Chance wohl in der geschlechtsneutralen Sprache liegt.
In eigener Sache: Uns ist bewußt, dass wir mit unserer eigenen Internetseite von echonet diese Zielsetzung noch nicht erfüllen, wir arbeiten aber stetig daran. Und manchmal - durchaus bewußt - wechseln wir statt einer geschlechtsneutralen Sprache einfach zwischen dem generischen Feminum und dem generischen Maskulinum. Absichtlich. Vorsätzlich.